Wenn es um Werte geht, herrscht Einigkeit. Werte sind gut! Wir alle brauchen Werte. Werte sind das, was wir auf keinen Fall verlieren wollen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wertvoll nennen wir, was uns wichtig ist, woran wir unser Leben ausrichten. Als wertvoll bezeichnen wir einen Menschen. Eine Tat. Eine Erfahrung. Oder eine Uhr … Je länger wir über Werte nachdenken, desto größer die Konfusion. Es gibt ökologische, religiöse, ethische und ästhetische Werte, Vermögenswerte, Unternehmenswerte, Sachwerte, Schrottwerte … Aber „gibt es“ Werte einfach so – wie Häuser oder Enten? Woraus beziehen Sie ihre Geltung? Und (wie) kann man sie erkennen?

Werte sind nicht nur Marktwerte

Je nach Epoche und Kulturkreis können Werte unterschiedliche Bedeutungen haben. Wenn vom gesellschaftlichen Wertewandel die Rede ist, sind es aber streng genommen nicht die Werte, die sich wandeln, sondern unsere Vorstellungen von ihnen. Eine exemplarische Stimme unserer Zeit ist der amerikanische Philosoph Michael Sandel, der gegen die Expansion von Marktwerten in Lebenssphären wie Liebe oder Kindererziehung plädiert, die mit Geld nichts zu tun haben (sollten). Auch die postmaterialistisch eingestellte Generation Y scheint ökonomische Werte und den „Warenfetisch“ (Karl Marx) weniger wichtig zu nehmen als Familie und Freundschaft, Nachhaltigkeit und Verantwortung.

Heißt das, dass die Welt nun bald zu einem besseren Ort wird? Wann immer wir von unseren Werten sprechen, meinen wir damit jedenfalls etwas für uns und unser Leben Positives, Gutes, an dem wir uns in unserem Handeln orientieren. Wir verleihen dem „Wertvollen“ implizit eine ethische Konnotation.

Werte sind Orientierungsgeber und Handlungsmotivatoren Twittern

Ironischerweise stammt der so edel anmutende Begriff „Wert“ gar nicht aus der philosophischen Ethik, sondern wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts aus ökonomischen und mathematischen Zusammenhängen heraus in die Philosophie übersetzt. Es war Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), der den Wertbegriff ins philosophische Spiel brachte, als er die falsche Moral der „Metaphysiker“ und ihrer Rede von Gut und Böse kritisierte: „Man darf nämlich zweifeln, erstens, ob es Gegensätze überhaupt gibt, und zweitens, ob jene volkstümlichen Werthschätzungen und Werth-Gegensätze … nicht vielleicht nur Vordergrunds-Schätzungen sind“.

Werte sind Orientierungsgeber und Handlungsmotivatoren

Wenn Werte halten sollen, was sie versprechen – nämlich uns Orientierung zu geben und uns zum Handeln zu bewegen – sollten wir erst einmal verstehen, was sie (für uns selbst und andere) bedeuten.

  1. Wertbegriffe sind nie nur positiv. Sie können auch negativ („falsch“, „hässlich“) – oder neutral sein: In dem Moment, in dem wir etwa die Schönheit eines Kleids bewundern, ist uns die Gerechtigkeit einer Handlung schließlich gleichgültig …
  2. Schön und hässlich, gut und böse sind klassifizierende Begriffe – wobei „gut“ alles Mögliche sein kann. Ein scharfes Messer, eine wasserfeste Theorie, ein Handy, bei dem das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt – oder ein Mensch.
  3. Gut im engeren philosophischen Sinn ist nur das ethisch bzw. moralisch Gute. Meinen wir mit „gut“ dagegen den Wert eines bezifferbaren ökonomischen Gewinns, beziehen wir uns auf einen metrischen Wertbegriff. Und wenn wir davon sprechen, dass uns ein guter Mensch genauso, mehr oder weniger wertvoll sei wie ein anderer, haben wir es mit einem komparativen Wertbegriff zu tun.
  4. Werten ist etwas anderes als beschreiben – und doch ist beides oft schwer voneinander zu trennen, wie wenn wir sagen: „Per ist ehrlich“ oder: „Dieser Krimi ist spannend“.

Sind Werte eine subjektive Geschmackssache? Oder gelten sie objektiv? Die Frage ist nicht, ob – speziell ethische – Werte wichtig sind, sondern vielmehr, warum sie wichtig sind, für uns selbst und überhaupt. Wenn wir uns selbst als Hirn- und Herz-begabte Wesen ernst nehmen wollen, sollten wir davon ausgehen, dass sich Werte nicht nur mit unseren persönlichen Interessen verbinden, sondern auch eine objektive Geltung haben.

Ich glaube, wir brauchen ein zweifaches Urteilsprinzip, das auf einer zweifachen Autorität gründet. Erstens unserem Herzen, das uns die Gründe liefert, warum es notwendig ist, so und nicht anders zu handeln; zweitens unserer Vernunft, die es uns ermöglichen, von einem unparteilichen Standpunkt aus zu urteilen (und der Tatsache, dass wir unser herzensmäßiges Wollen nur immer beschreiben, aber logisch nicht legitimieren können, Rechnung trägt).

„Wert“ ist unser Begriff für etwas, das uns innerlich zutiefst bewegt und zum Handeln motiviert, gerade weil wir ihn nicht nur aus uns selbst heraus erzeugen, sondern auch von außen empfangen. Wertvoll und wichtig ist das, was wir wichtig finden – ob wir uns Philosophen nennen oder doch eher zu den Ökonomen zählen. Wertvoll kann nur etwas sein, das wirklich zählt. Den Wert der Werte zu bestimmen, bleibt ein mühsamer, aber notwendiger Prozess. Seine Bedeutung zeigt sich sich am Ende auch an den Folgen, die er für das gute Leben aller hat.

 

Nachdenkzeit Kalender 2017: 365 philosophische Denkanstöße:

Unser Alltag ist voller Rätsel: Wie findet man Liebe? Welche ethischen Maximen sollte man im Job-Alltag beherzigen?